Empathie zu zeigen ist eine der wichtigsten Fähigkeiten einer Pflegekraft. Gemeint ist damit die Bereitschaft oder die Fähigkeit, sich in die Einstellungen anderer Menschen einzufühlen, also die Welt aus den Augen des anderen Menschen zu sehen. Vor allem im Umgang und Begegnungen mit Heimbewohnern, die an einer Demenzerkrankung leiden, ist diese Eigenschaft wichtig.

Pflegekräfte sind herausgefordert, wandlungsfähig zu sein, in eine andere Rolle zu schlüpfen, um die Welt des anderen annehmen zu können und somit nicht wohlmöglich seine Gefühle zu verletzen. Einigen wurde diese Gabe mit in die Wiege gelegt, und sie beherrschen es ganz natürlich. Viele andere können und dürfen diesen Umgang mit solchen Heimbewohnern erlernen und erleben. Es gibt aber auch Menschen,
die nicht sonderlich wandlungsfähig sind und die Realität ziemlich engstirnig und unflexibel wahrnehmen. Im Alltag erlebe ich viele solcher Situationen, die genau diese magischen Wandlungen wiedergeben – oder auch eben nicht. So erkennt zum Beispiel der demente Heimbewohner bei einem Besuch durch seinen Angehörigen nicht seinen Sohn, sondern einen guten Freund, mit dem er sein ganzes Arbeitsleben verbracht hat. Ganz selbstverständlich lässt sich der Sohn in die Rolle des Freundes fallen, da er einfach nur glücklich ist, dass der Vater sich über den Besuch und das Wiedersehen freut. Ganz unbekümmert kann er die Welt des Vaters verstehen und beide sind zufrieden.

Ein ähnliches Treffen kann aber auch ganz anders verlaufen. Mit aller „Sturheit“ wird versucht,
die 97jährige demente Mutter davon zu überzeugen, dass man nicht die Person ist, als die man gerade wahrgenommen wird, sondern doch die Enkeltochter sei. Anstatt die gemeinsame Zeit zu genießen, wird diskutiert und gestritten, man will durch Handyfotos beweisen, dass man doch der Ehemann ist oder erzählt von gemeinsamen Reisen nach Italien, die aber die demente Ehefrau, längst vergessen hat. Nach
dem Treffen sind beide Menschen unglücklich.

Ein junger Mann, der seinen an Alzheimer erkrankten Vater pflegt, wurde gefragt: Weiß dein Vater noch, dass du sein Sohn bist? Der junge Mann antwortete: Das ist nicht wichtig. Wichtig ist, dass ich weiß, dass er mein Vater ist!

Julian Böhm/ Patrick Neuendorf